Verfestigung und Verflüchtigung. Rezension zu Uta Gosmann „Reise durchs Nimmerich“ (19. Januar 2024, Deutschlandfunk, Büchermarkt)

In drei Zyklen thematisiert Uta Gosmann in ihrem Lyrik-Debütband Landschaften, besonders die Wüste New Mexikos, und Zustände, in denen das Ich durchlässig wird – eine „Reise durchs Nimmerich“. Bedacht setzt sie ihre detailgenauen Betrachtungen. Viele Texte verwandeln Naturbetrachtungen in Seelenlandschaften.

Was haben die englische Autorin Virginia Woolf und die amerikanische Malerin Georgia O‘Keefe gemeinsam? Beider Werk ist eine Inspirationsquelle für die Gedichte der 1973 geborenen Uta Gosmann. Sie ist Lyrikerin, Übersetzerin und Psychoanalytikerin. Gosmann hat nun in der österreichischen Edition Thanhäuser ihren ersten Gedichtband vorgelegt: „Reise ins Nimmerich“, so der Titel.

Die Autorin, die seit 15 Jahren in den USA lebt, interessiert sich nicht nur als Therapeutin für Seelenzustände. Auch in ihrem Schreiben findet sie in der Natur und der Kunst Entsprechungen, die sie in konzentrierte klare Sprachbilder fasst. Immer wieder entstehen Gedichte, in denen das Ich ganz in den Erscheinungen der Natur aufgeht, in sie übergeht:

„Pusteblumen Sitzen auf dürren Stängeln und recken ihre weißen Häupter zum Mond. Die finstere Wiese ist voll von diesem konzentrierten Strecken. Andacht in der Stille der Nacht. Im Gras so verdeckt wie der Mond im Schatten der Erde. Gerafftes Reziprok von Nah und Fern. Beim nächsten Windstoß löst sich der Samen und fliegt in Richtung Stern.“

Das Nimmerich, das dem Band den Titel gibt, ist, so könnte man sagen, alles, was über die Grenzen des menschlichen Ichs hinausweist. Es ist das, was auf das menschliche Vermögen zum Wachstum deutet, etwas, das das Trennende und Beschränkende überwindet und das außerhalb seiner Selbst etwas findet, was über den Moment Bedeutung behält und vielleicht sogar bestehen bleibt.

Worte wie „Auflösung“ und „Leere“ sind zentral in diesem Gedichtband. Sie werden hier aber nicht nihilistisch interpretiert, sondern im Sinne fernöstlicher Philosophie, dass sie ein anderes Bewusstsein ermöglichen. Die Sehnsucht nach dem Beständigen im Flüchtigen gehört zum Menschsein. Verse des Gedichts „Ein einzelner Tag“ beschreiben diese Sehnsucht:

„Am Ende hat das Nebeneinander von Tag und Nacht mit der Unaushaltbarkeit der Fülle zu tun; ihr Ineinander mit dem Wunsch, dass der Moment über sich hinausweise.“

Der „Unaushaltbarkeit der Fülle“ begegnen die Gedichte von Uta Gosmann mit einem Höchstmaß an Konzentration. Es wirkt stimmig, dass bevorzugte Schauplätze der Gedichte Winter-, aber vor allem Wüstenlandschaften mit ihrem Salz und Gestein, mit ihren Farbspielen und Luftspiegelungen sind.

Auch im Gedicht „Die leere Mitte“ wird geschildert, wie der Anblick der Wüste einen meditativen Zustand herbeiführt:

„Die leere Mitte Das dürre Land der Wüste vereinfacht, was das Auge sieht, oben Himmel, unten Erde, die klare Luft wie ein mikroskopisches Glas, das sichtbar macht, was dazwischen liegen mag. Ein tiefes Seufzen, Zeichen der Erleichterung, schallt zurück vom Atalaya Berg. Bürde der Vielfalt reduziert.“

In diesem Gedicht bleibt das Auge des Betrachters schließlich an einem „gewundenen Horn eines Widders“ hängen, das „im Schatten einer Kaktee“ liegt. Das Auge, so heißt es weiter, „streift / entlang der Spirale des Gehörns / in seine leere Mitte.“

Wer die Malerei der 1887 bis 1986 lebenden Georgia O‘Keefe kennt, die sich von 1933 an regelmäßig in New Mexico aufhielt und dort in der Wüste Inspiration für ihre Bilder fand, wird in Uta Gosmanns Gedichten bezaubernde sprachliche Pendants zu diesen Wüstendarstellungen entdecken. Die beiden teilen die Vorliebe für ausgebleichte Tierschädel und Geweihe, Weite und Kargheit. O‘Keefes Malerei und Gosmanns Gedichte eint ein kühler, spröder, beträchtlicher Reiz.

Auch in der Prosa Virginia Woolfs findet Gosmann Inspirationsquellen. So heißt denn eines der Gedichte nach einem ihrer bekanntesten Texte „A room of one‘s own“.

„Es ist ein Vertrauen, die innerste Kammer zu bauen — wobei das Bauen wie ein Finden scheint.“

Es ist ein Gedicht, bei dem schon mit den ersten Versen deutlich wird, dass sich auch in ihm der fortwährende Prozess von Verfestigung und Verflüchtigung von Gedanken, von Gefühlen manifestiert. In sich zur Ruhe kommend Man hat es mit „Reise durchs Nimmerich“ mit einem Debüt zu tun, das so gar nichts Unfertiges erkennen lässt, mit einem ganz und gar überzeugenden, fein balancierten, in sich zur Ruhe kommenden Sprachkunstwerk.

https://www.deutschlandfunk.de/uta-gosmann-reise-durchs-nimmerich-dlf-994e1cf5-100.html

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