Dreiecksgeschichten sind kompliziert. Peter Michalzik erzählt in „Die Liebe in Gedanken“ eine sehr eigenartige Dreiecksgeschichte. Sie beruht auf Briefen, die der 1875 geborene Rainer Maria Rilke, der 1890 geborene Boris Pasternak und die 1892 geborene Marina Zwetajewa gewechselt haben.
Die erdachte und in Worte gefasste Liebe zum jeweils anderen als einer Verkörperung des Fremden, die Liebe zu den jeweils fremden Ländern Deutschland bzw. Rußland und ihren Zeit-Bildern, die Liebe zur Poesie, zu Wort, Imagination und Traum, hat einen worttrunkenen Briefwechsel gezeitigt. Meine Rezension von Peter Michalziks Biographie dieses Dreiecks gibt es in „Gutenbergs Welt“ zu hören, nach der Ausstrahlung ist sie abrufbar über diesen Link.
Anne Carson: Rot (3. November 2019, SWR2, lesenswert magazin)
Anne Carson ist eine Grenzgängerin. Geboren 1950 in Toronto, Onatario, begann unter der Ägide eines Lehrers an der High School, der ihr Privatunterricht gab, Altgriechisch zu lernen. Nachdem das Interesse an der Antike erst einmal geweckt war, studierte sie Altphilologie und wurde schließlich Professorin, unterrichtete in Princeton, Berkeley und New York.
Zugleich machte sie sich aber auch seit den 1980erJahren Dichterin einen Namen. 1987 erschien ihr Langgedicht „Kinds of Water“, mit dem sie international Beachtung fand. Seitdem hat Anne Carson zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter „Float“, „Red.Doc“, „Eros, the Bittersweet“ und „Autobiography of Red“.
Zwei dieser Titel, „Red.Doc“ und „Autobiography of Red“ sind nun in einem Band zusammengefasst unter dem Titel „Rot“ von der 1973 geborenen Lyrikerin Anja Utler ins Deutsche übersetzt worden. Und während es sich bei „Autobiography of Red“ nach „Rot“ in der Übersetzung von Karen Lauer bereits um die zweite Übersetzung dieses „Romans in Versen“ handelt, liegt „Red.Doc“ nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor.
Für den SWR habe ich die beiden Bände gelesen und besprochen. Nachhören kann man die Sendung hier.
Maren Kames „luna luna“ und Levin Westermann „bezüglich der schatten“ (1. November 2019, DLF, Büchermarkt)
Wer hätte nicht schon oft zu ihm hingestarrt, hingeschmachtet: Der Mond als Sehnsuchtsplanet, als Planet, dem in der Astrologie und der abendländischen Geistesgeschichte das weibliche Prinzip zugeschrieben wird, jenes „kleinere der großen Lichter“, von dem es in der Genesis heißt:
„Und Gott machte zwei große Lichter; ein großes Licht, das den Tag regiere und ein kleines Licht, das die Nacht regieren, dazu auch die Sterne. Und Gotte setzte sie an die Feste des Himmels, daß sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war, da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.“ (Gen. 1, 16-19)
ist ein in unzähligen Variationen bedichteter, besungener und „bemalter“ Planet. Eichendorff, Matthias Claudius, Anna Achmatova „Ich lebe aus dem Mond, du aus der Sonne“ , in jüngster Zeit die „Flüchtigen Monde“ des diesjährigen Leonce- und Lena-Preisträgers Yevgeniy Breyger bei Kookbooks — das sind nur einige Beispiele für lunatisch-lyrische Mondadressierungen.
Maren Kames trägt nur das ihrige dazu bei. Mit „luna luna“ hat sie mich persönlich deutlicher von ihrem Schreiben überzeugen können, als das bei ihrem Debüt „halb taube, halb pfau“ der Fall war. Das liegt unter anderem daran, dass Kames in „luna luna“ meinem Eindruck nach eine noch engere Verzahnung von Lyrik und Lyrics, von Poesie und Pop gelingt.
Noch mehr beeindruckt hat mich Levin Westermanns Band „bezüglich der schatten“. Im Kritikergespräch mit Insa Wilke und Michael Braun haben wir eine etwas genauere Verortung der beiden Bände am Firmament der Gegenwartslyrik versucht. Nachzuhören ist das am Buchmessenfreitag etwas übermüdet geführte Gespräch hier.
Jan Wilm „Wintertagebuch“ (November 2019, Frankfurter Hefte)
Das Romandebut „Wintertagebuch“ von Jan Wilm zählt für mich zu den interessanteren deutschsprachigen Texten des Jahres. Es mag sein, dass es eher ein Roman für Literaturwissenschaftler und Kritiker ist, wenn man überhaupt in solchen Schubladen denken will. Vor allem aber setzt sich Wilm erzählend mit dem autofiktionalen Schreiben auf sehr amüsante, ja teilweise persiflierende Weise auseinander. Meine Rezension in den Frankfurter Heften ist derzeit nicht online nachzulesen, man kann aber über die Seite an ein Heft kommen. Hier.