Werkseinstellungen: Kerstin Preiwuß (16. November 2023, Hessisches Literaturforum im Mousonturm)

„Ich spreche nie beim Schreiben, bin ein immenses stilles Feld, ein tiefes Wasser mit dünner Haut, die ständig friert“ – das sagt das Ich in Kerstin Preiwuß’ literarischem Essay Heute ist mitten in der Nacht, und es ist schwer diesen Satz nicht poetologisch zu lesen. Sowohl ihre Prosa als auch ihre Gedichte sind bestimmt von Suchbewegungen, einem ruhigen Tasten, das in die Tiefe weist, aber empfänglich und im besten Sinne dünnhäutig bleibt für alles, was ihm auf seinem Weg begegnet. Sei es im Umgang mit Romanfiguren oder der Sprache selbst: Stets zeigt sich bei Preiwuß das austarierte Zusammenspiel aus Empathie und Distanz. Motivisch ziehen sich Einsamkeit und die scheinbare Sicherheit, die Sprache bieten kann, durch die formal vielseitigen Texte.

Ich moderiere.

Im Rahmen der „Werkseinstellungen“ solle dem Ton von Preiwuß’ Texten nachgegangen werden, wenn schon nicht beim Schreiben, dann doch übers Schreiben zu sprechen. (Quelle: Hessisches Literaturforum im Mousonturm)

Lyrikgespräch: Ana Pepelnik „nicht fisch“ und Jan Wagner „Steine und Erden“ ( 24. Oktober 2023, DLF, Büchermarkt)

Die Sendung kann hier nachgehört werden.

Ana Pepelnik wurde 1979 in Ljubljana geboren, sie ist Dichterin, Musiker, Übersetzerin unter anderem von Sylvia Plath, Elizabeth Bishop und Wallace Stevens ins Slowenische. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und ist Sängerin der Band Boring Couple und beschäftigt sich mit Impro Poesie Musik Performances.  Wichtige Bände sind die beiden Bände techno und treš, was auf Deutsch so viel wie „Müll“ heißt.

Ihr Band „techno“ ist in der deutschen Übersetzung eine Kompilation aus den beiden slowenischen Originalbänden „techno“ und „treš“. Zwei Übersetzerteams waren hier am Werk: Amalija Maček und Matthias Göritz bewegen sich in ihren Versionen näher am Original, während Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik bewusst nach- und neu gedichtet haben. Damit bildet die deutsche Übersetzung auch etwas was ab, was der slowenischen Sprache eigen ist: sie ist gesprochen voller Variantenreichtum und Offenheit des Originals, die Mischung verschiedener übersetzerischer Zugänge bildet das ab.

Liebe, Krieg und Tod sind, auch unter dem Eindruck des Bosnienkriegs von 1992 bis 1995 zentral in Pepelniks Gedichten: „heute schreib ich am meisten traurigkeit in eine welt hin lass mich die traurigkeit der welt ach egal wiederkrie/g“ heißt es gleich im ersten Gedicht des Bandes. Das Bildinventar des Kriegs und der Kriegsführung taucht in den Gedichten immer wieder auf. Der Krieg, der mit Kampf und Tod einhergeht, erscheint wie eine Ausprägung des Todestriebs, des Thanatos. Im Gedicht „slowenische apokalypse“, das ein wenig wie ein postmodernes Pastiche von Weltende von Jakob van Hoddis klingt, ist durchzogen von Donner, Blut, Ende, das Wort Krieg kommt nicht vor, aber er Untergang, trotz der Liebe, die in diesem Gedicht auch beschworen wird. Ein anderes Gedicht heißt „Louder than bombs“, eine Anspielung auf den Film, aber auch auf ein Album der britischen Band „The Smiths“. Der Todestrieb manifestiert sich im Krieg, in der Aggression, er kann aber auch produktiv gemacht werden, wenn es gelingt, die zerstörerische Energie umzulenken, wofür diese Gedichte auch ein Beispiel sind, ein Beispiel eines auszufechtenden Text-Kreigs gegen sich selbst aus dem man für einen Moment siegreich hervorgeht, wenn man ein Gedicht geschrieben hat.

Im „nicht fisch“-Band von Ana Pepelnik wird auch Trauer verarbeitet wird, der Tod des verstorbenen David Šalamun, Sohn des großen slowenischen Dichters Tomasz Salamun,IM Gedicht „Für dich, Tomaz, als Rache“ findet sich im Bild einer Schneekugel die Erinnerung an diesen Tod konzentriert.

Jan Wagners Gedichte gehen auch im achten Band des 1971 geborenen Dichters immer vom Konkreten aus, vom Kleinen, vom vermeintlich Beiläufigen. Und sie machen es dann groß. Steine und Erden bezieht sich auf das Motto des Bandes von Francis Ponge, das man so übersetzen könnte: „Wenn das Reden über Erde mich zu einem minderen Dichter oder Erdarbeiter machen sollte, will ich es sein! Ich kenne kein größeres Thema.“

Denken wir an Steine und Erde, dann können wir uns deren Aufbau aus einzelnen Atomen in Gitterstrukturen feststellen, iDer Stein ist so wichtig in allen Traditionen, der Stein von Jesu Grab, der Stein von Rosetta, — ohne den Stein, wie es in einem früheren Gedicht von Jan Wganer über Mücken heißt, der Stein bei Celan, etc. Dagegen stehen die Erden, aus denen Gott Adam schuf, Erde zu Erde, Asche zu Asche als Christliche Begräbnisformel, etc.

Und zugleich sind Steine und Erden sehr konkret, wie immer bei Wagner bestehen die Titel seiner Gedichte aus einzelnen, zwei konkreten Begriffen (verba), wie so oft geht es auch hier um Städten und Länder (oder allgemeiner: den Orten) Tiere, Pflanzen, Gegenstände, bekannte Persönlichkeiten und literarische Gattungen.

Der Band mit seinen fünf Abteilungen, mit seinen so fein gearbeiteten Gedichten ist einmal mehr ein Ausweis für die immensen Fertigkeiten, die Jan Wagner an den Tag legt. Seine Gedichte lehren uns genaues Hinsehen, sie lehren uns das Schauen hinter die Dinge, ich bin als jemand, die Wagners Lyrik immens schätzt: seinen Umgang und sein Weiterdenken, sein Ausreizen und zum Teil auch sein Ironisieren der lyrischen Tradition, die er in ihrer Form- und Bildsprache unglaublich gut kennt. Fügungen wie „der / saft der reifen pflaumen am baum begann in / wespen zu sprechen“ aus dem Gedicht Erinnerungen an die Siebziger Jahre sind so bezaubernd wie Jan Wagners Gedichte es zu sein vermögen, unübertroffen präzise und schöpferisch.