Ein literarisches Werk von Weltrang in eine andere Sprache hinüberzutragen, ist immer wieder ein Abenteuer für Übersetzer, Leser und – sofern sie noch am Leben sind – Autoren. Der Übersetzer muss dabei die vertrackte Aufgabe lösen, sich so weit in die feinsten Verästelungen des Stils des Autors hineinzubegeben, dass eine Entsprechung des Textes zum Original in einer anderen Sprache glaubhaft zu lesen ist. Wie unterschiedlich dabei die Ergebnisse ausfallen können, zeigte sich vor etwa einem Jahrzehnt sehr deutlich an zwei fast gleichzeitig erschienenen Übersetzungen von Herman Melvilles „Moby Dick“. Die Versionen von Friedhelm Rathjen und Matthias Jendis verfolgten unterschiedliche Ziele. Während Rathjen sich weitestmöglich dem schroffen, auch für in der englischen Sprache halbwegs bewanderte Leser nur mühsam zu entschlüsselnden Melvillschen Text näherte, machte Jendis einige Zugeständnisse an eine bessere Lesbarkeit der deutschen Übersetzung – daraus entstand eine kleine Debatte über zwei deutsche Versionen desselben Originals. In der jüngeren Vergangenheit war kaum je so viel diskutiert, ja gestritten worden.
Es ist nicht anzunehmen, dass über Elisabeth Edls Neuübersetzung von Gustave Flauberts „Madame Bovary“ vergleichbar kontrovers diskutiert werden wird. Zu sagen gibt es aber zu dieser brillanten Übersetzung dennoch eine ganze Menge. Die erste deutsche Fassung von Flauberts erstem Roman erschien bereits 1858, inzwischen sind fast dreißig daraus geworden. Warum also eine Neuübersetzung? Ganz einfach deshalb, so Elisabeth Edl in ihrem Nachwort, weil keine der bisher vorhandenen stilistisch dem französischen Original nahekommt. Flauberts strengen Stil möglichst getreu nachzubilden, sei ihr Ziel bei der Neuübersetzung gewesen.
Und während Edl an der Übersetzung saß, kam ihr noch ein Zufall zuhilfe. Das Centre Flaubert der Universität Rouen machte 2009 das komplette Manuskript und weitere Vorarbeiten zu „Madame Bovary“ in einer kritischen Ausgabe im Internet zugänglich. Diese neue editorische Situation rechtfertigt umso mehr eine neue Übersetzung. Vergleicht man den nun vorliegenden neu übersetzten Text mit älteren Varianten, so zeigt sich tatsächlich, dass in Edls verdienstvoller Übersetzung jeder Satz an Subtilität gewinnt – auch gegenüber frühen Textvarianten aus der Feder des stilversessenen Flaubert, der in den fünf Jahren, in denen er an „Madame Bovary“ schrieb, jeden einzelnen Satz zum Fenster hinausgebrüllt haben soll. Und der so vieles im Roman zwischen den Zeilen und über Andeutungen zu transportieren wusste, wie es das schöne Beispiel deutlich macht, in dem Emmas Vater unmissverständlich klar macht, dass er das Interesse des Landarztes Charles an seiner Tochter Emma durchaus bemerkt hat: „Bald ist Frühling; Sie dürfen in unserem Revier ein Karnickel schießen, das bringt Sie auf andre Gedanken.“
Flauberts obsessive Identifikation mit seinem Roman kulminiert in dem Satz „Madame Bovary, das bin ich“. Solche Hingabe an den Text hat Edl neuerlich walten lassen. Und erst recht wer sie selbst über dieses Übersetzungsprojekt reden hört, wird ihre helle Begeisterung sofort wahrnehmen – und sich nur zu gerne von ihr anstecken lassen.
Gustave Flaubert: Madame Bovary. Sitten in der Provinz. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl. Hanser Verlag, München 2012. 760 Seiten. 34,90 Euro.