Wie immer, wenn ich mich einem Buch nähere, mit dem ich nachher arbeite, versuche ich auch, mir einen möglichst umfassenden Einblick in das Werk eines Autors oder einer Autorin zu verschaffen. Das kostet vor allem Zeit, denn im Zeitlater von ZVAB etc. kann man ja die meisten Vorgängerbücher für praktisch umsonst beziehen. Das Lesen allerdings dauert. Aber sehr oft lohnt es sich für den Blick auf das zu besprechende Buch insofern, als sich dann Bezüge und Querverbindungen herstellen, grade in Werken, die immer wieder um bestimmte Orte kreisen (Peter Kurzeck oder Andreas Maier oder Norbert Scheuer schreiben so).
Bei Ulrike Kolb habe ich im Zusammenhang mit „Yoram“, einem Roman über die Liebe zwischen einer Frau aus Deutschland und einem jüdischen Mann aus Israel, entdeckt, dass die Autorin diese Konstellation schon mal in umgekehrter Form einer Liebe zwischen einer israelischen Jüdin und einem Deutschen in „Eine Liebe zu ihrer Zeit“ erzählt hat.
Muss man das wissen, wenn man „Yoram“ liest? Nicht unbedingt. Aber es deutet doch stark darauf hin, dass Kolb diese Konstellation in ganz besonderer Weise beschäftigt (hat.)
Wer rezensiert, sollte die nötige Zeit dafür aufbringen dürfen, sich mit diesen Sachverhalten zu befassen. Ich weiß, das ist aus ökonomischer Sicht aberwitzig zu verlangen. Und doch wäre die Kritik unendlich viel besser, relevanter, scharfsinniger, wenn die Schreibenden genau dazu die Möglichkeit hätten. Man darf es ja wenigstens wünschen. Und ich hoffe, dass zumindest die Autoren den Unterschied bemerken, wenn sie nachher die Besprechungen zur Kenntnis nehmen.
P.S.: Ulrike Kolb übrigens hat es damals bemerkt und mir einen Brief geschrieben. Sie schickte damals Gedichte von Olga Martynova mit, „In der Zugluft Europas“, fast zehn Jahre später sehe ich, welch schönes Geschenk sie mir damals tatsächlich gemacht hat.