Rezension neuer Gedichtbände von Carolin Callies, Elke Erb, Nora Gomringer, Rike Scheffler und Jan Wagner (Der Freitag)

„Während im spiegel / jenes beharrlich sanfte V der ohren noch serpentinenlang zu sehen war, / ein victory, vittoria, victoire“, dichtet Jan Wagner in einem Gedicht aus den Regentonnenvariationen, deren großen Erfolg niemand vorhersehen konnte. Als erster Gedichtband überhaupt ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, sind die Regentonnenvariationen inzwischen bei einer Auflage von sagenhaften 35.000 Exemplaren angelangt. Der Band steht weiterhin auf der Spiegel-Bestsellerliste (die dieser Tage ungewöhnlich literarisch ambitioniert daherkommt). Und Jan Wagner wird am 22. April in Fellbach den Mörike-Preis entgegennehmen. Das „beharrlich sanfte V der Ohren“ könnte man also auch als einen kleinen Sieg der Gattung lesen, umso mehr, als Jan Wagner seit seinem Erfolg es sich zur vornehmen Aufgabe gemacht hat, auf die äußert lebendige deutschsprachige Lyrikszene aufmerksam zu machen. Weiterlesen!

Rezension: „Handbuch der politischen Poesie“, hg. von Joachim Sartorius (Der Freitag)

Die schwarze Nacht gab mir schwarze Augen. / Doch ich suche mit ihnen das Licht.“ Das Gedicht Eine Generation ist lediglich zwei Verse lang, verfasst von Gu Cheng, geboren 1956 in Peking. In wenigen Worten hat Cheng das Gefühl der „verlorenen Generation“ in China zum Ausdruck gebracht; das kann so nur ein Gedicht oder ein Song. Gu Chengs Lyrik machte ihn in seiner Heimat zur Persona non grata. Er exilierte nach Neuseeland, wo er am 7. Oktober 1993 zunächst seine Frau und dann sich selbst tötete. Weiterlesen!

Rezension neuer Gedichtbände von Marcel Beyer, Silke Scheuermann, Katharina Schultens und Jan Wagner (Der Freitag)

„Poesie war Widerstand“, lautet der vielleicht meistzitierte Satz aus Kruso, Lutz Seilers Debütroman, der in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Seiler ist bislang vor allem als Lyriker hervorgetreten, seine Hauptfigur, Ed Bendler, verehrt besonders den Dichter Georg Trakl, „der am unerbittlichsten tönte mit seinen Versen aus Laub und Braun“. Weiterlesen!

Rezension: „Warten auf der Gegenschräge“. Gesammelte Gedichte von Heiner Müller (Der Freitag)

Wer auf Friedhöfen die Gräber prominenter Persönlichkeiten aufsucht, entdeckt öfter Merkwürdiges. Auf dem Grab Heiner Müllers (in unmittelbarer Nähe zu dem seines dramaturgischen und auch lyrischen Über-Vaters Bertolt Brecht) lag vor Jahren eine echte Zigarre, die sein Markenzeichen gewesen ist. So eindrucksvoll wie das Bild vom zigarrenrauchenden, schwarzbebrillten Heiner Müller sind nicht wenige der Gedichte, die nun knapp 20 Jahre nach seinem Tod 1995 im Band Warten auf der Gegenschräge vorliegen, die die Berliner Literaturwissenschaftlerin Kristin Schulz herausgegeben hat. Das Buch ersetzt den 1998 erschienenen Gedichtband der Heiner-Müller-Werkausgabe. Weiterlesen!

Sylvia Plaths Gedichtbände „The Colossus“ und „Crossing the Water“ liegen in deutscher Erstübersetzung vor (Der Freitag)

Pilze gibt es im Moment nicht im Wald, nur in der Lyrik, aber was heißt da „nur“. Mushrooms, so der Titel des englischen Originals, das zuerst 1960 in dem Band The Colossus and Other Poems erschien, ist eines unter zahlreichen eindrucksvollen Dinggedichten der Autorin Sylvia Plath. Es beschreibt die „Pilzhaftigkeit“ nicht nur über Verben und Adjektive, sondern nähert sich den Vertretern dieser eigenen Art, ihrem stillen, zähen, im Pulk aus der Erde ans Licht drängenden Wachstum auch lautlich virtuos an. Weiterlesen!