Feine Geister: Über Sibylla Vričić Hausmanns „3 Falter“ (WDR 3, Gutenbergs Welt, 21. Juli 2018)

Insa Wilke ist eine beschlagene Kritikerin, gewitzte Jurorin, sorgsame und für Neues offene Redakteurin. Und sie kennt sich aus, wenn es um Lyrik geht, weswegen sie in der tollen Sendung „Gutenbergs Welt“ regelmäßig eine Folge mit Lyrik-Schwerpunkt gestaltet. Für die Folge „Feine Geister“ , die am 21. Juli 2018 ausgestrahlt wird, habe ich Sibylla Vričić Hausmanns Debutband „3 Falter“ (Poetenladen, Leipzig 2018) besprochen. Den Link zum Nachhören gibt es demnächst hier.

Kritik und Melancholie (Literaturblatt, Juli/August 2018)

„Ein Autor soll ein Werk schaffen“, so zititiert Andreas Maier den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Und hält sich daran, indem er ein Werk schafft. Ausgehend von dem sechsten Band seines mehrteiligen Romanprojekts „Ortsumgehung“ habe ich mich mit wachsender Begeisterung weitgehend durch die bisher erschienenen Bücher des Autors gelesen und in diesem Kontext ein kleines Porträt über die „Ortsumgehung“ für das Literaturblatt Baden-Württemberg geschrieben. Lesen kann man es hier.

Heike Gallmeier: Vertigo

Normalerweise schreibe ich Kritiken für Print und Hörfunk. Selten kommt es auch einmal vor, dass ich Texte lektoriere und mit den Autoren darüber diskutiere. Mit der Berliner Künstlerin und UdK-Professorin Heike Gallmeier verbindet mich seit Jahrzehnten eine unschätzbare Freundschaft. Ihre Texte für den Katalog „Vertigo“ zu lesen, mit ihr zu diskutieren und zu überarbeiten, war in anderer Weise spannend als die Reise, die sie in Ausstellungen und im Katalog ästhetisch transformiert. Die gemeinsame Arbeit an ihren Texten war auch eine schöne, abenteuerliche und eine glückliche „Reise“.

Der Katalog „Vertigo“ dokumentiert eine Reise von Berlin nach Northampton und die aus dieser Fahrt resultierenden Ausstellungen. Heike Gallmeier hat während ihrer Reise in einem zum mobilen Wohnatelier umgebauten Transporter aus gefundenen Materialien temporäre Installationen gebaut. Auf dem Weg durch Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich und Großbritannien hat sie Autobahnen und Hauptstraßen vermieden. Anstatt die kürzeste Route zu wählen, ist sie auf Landstraßen und durch Wohngebiete gefahren. An ihrem Ziel, dem NN Contemporary Art in Northampton, angekommen, hat sie den Innenraum des Transporters in den Ausstellungsraum versetzt und, zusammen mit großformatigen Fotografien, die auf dem Weg gefundenen Materialien zu neuen Installationen verarbeitet.

Den von Andreas Koch grafisch  schön gestalteten Katalog gibt es hier.

Zurück zum Text (Freitag online 25.05.2018)

Christian Kracht. Bringt das Verfestigte in Bewegung. Das wünsche ich mir von der Literatur / der Kunst. Und: ich brauche keine Kunstwerke, die mir von vornherein ihre moralische Reinheit und politische Korrektheit unter die Nase reiben.
Ich bevorzuge Vieldeutigkeit, Offenheit — umso mehr, wenn ich die Perfektion des Handwerkes sehe, in der auch ein Ort für Fehler ist. Klingt das kryptisch? Dann habe ich mich angemessen artikuliert. Mehr offene Frage hier.

Dreh dich (nicht) um (Der Freitag online)

Für den Freitag besuche ich die Frankfurter Poetikvorlesung von Christian Kracht. Nach der ersten der drei Vorlesungen habe ich erste Eindrücke und Überlegungen aufgeschrieben, leider sehr in Eile und — wie wohl alle, die am 15. Mai im Hörsaal 1 der Johann Wolfgang Goethe-Universität saßen –, adäquat auf das zu reagieren, worüber Kracht an diesem Abend sprach: über den Missbrauch, der er als Schüler des kanadischen Lakefield College erlebt hat.

Der Kontrast zwischen den allenfalls homöopathisch dosierten autobiographischen Kommentaren des Autors und diesen „Confessiones“ hätte krasser nicht ausfallen können.

Die Frage, ob es für nicht Missbrauchte überhaupt möglich ist, adäquat auf eingestandene Missbrauchserfahrungen zu reagieren, ist keine literaturwissenschaftliche, das ist ja klar. Aber ignorieren lässt sie sich nicht, auch dann nicht, wenn man, wie es einige bereits nach der ersten Vorlesung getan haben, und wie Kracht in der gestrigen zweiten Sitzung es selbst weiter befördert hat, der Erinnerung, die der Autor in der ersten Vorlesung als rückkoppelbar an reale Erfahrung geschildert hat, dann  doch wieder misstraut.

„Unschärfe“ und „Quantenverschiebung“, „Hochstapelei“ (unter Bezug auf T. S. Eliot) und „Parodie“ — mit all diesen Begriffen unterminierte Kracht gestern seine wuchtigen Missbrauchsschilderungen.

Worauf läuft das hinaus? Auf so etwas wie eine „Auflösung“ in der dritten und letzten Vorlesung am kommenden Dienstag zu hoffen, ist natürlich naiv. Dieser Autor ist schlauer als die meisten seiner Leser, auch das steht fest. Hier der Link zu meinem Online-Bericht im Freitag. (Die gröbsten Fehler darin sind nun hoffentlich auch beseitigt.)